Was wir in Schweden gelernt haben – Teil 1
Anfang März haben wir an einer vom Publisher-Weltverband INMA organisierten Studytour durch die wichtigsten Newsrooms in Stockholm teilgenommen. Und auch beim anschließenden Media Subscription Summit 2023 waren Marco und ich dabei.
Eines vorweg: Die Reise hat sich definitiv gelohnt. Wir haben viel gesehen, was uns beeindruckt oder gefallen hat (und auch ein paar Dinge, auf die wir gerne verzichten werden) und konnten eine Fülle von Inputs und Ideen einsammeln.
Das Ganze in eine strukturierte Form zu bringen ist freilich alles andere als leicht. Deshalb fangen wir jetzt einfach einmal damit an. Das sind einige unserer Learnings.
1. Auch die Schweden mögen Print noch. (Aber digital mögen sie lieber.)
In Skandinavien und ganz besonders in Schweden ist die Digitalisierung sehr weit fortgeschritten. Bargeld wirkt in Stockholm selbst in Cafés und Bars wie abgeschafft, vielerorts haben digitale Werbeflächen die herkömmlichen Formate abgelöst.
Vor allem Studytour-Teilnehmer aus der – vergleichsweise printlastigen – DACH-Region waren deshalb auf konsequentes „Print-Bashing“ vorbereitet. Man muss sagen: Das ist selbst in den fortschrittlichsten Newsrooms ausgeblieben.
Wenn Lena K. Samuelsson, die Chefredakteurin und Herausgeberin von Aftonbladet, spontan nicht sagen kann, wie viele Print-Abonnenten ihr Blatt aktuell hat, spricht das zwar Bände über den Fokus des Hauses. Zugleich wurde aber bei den Vorträgen und Gesprächen trotzdem deutlich, dass man die gedruckte Zeitung noch sehr ernst nimmt – aber eben als ein Kanal von vielen.
Optimierung scheint dabei ein zentrales Schlagwort zu sein. Man will die Print-Abonnenten solange wie möglich gut bedienen.
Klar ist aber auch: In den Prozessen und Strukturen der Newsrooms hat Print seine dominierende Stellung längst verloren.
2. Online first ist Normalität.
Eine Frage hat sich im Rahmen der Studytour und auch beim Kongress im Anschluss nicht gestellt: Was passiert mit einer Geschichte, wenn sie fertig ist? Die Antwort ist einfach: Sie wird online veröffentlicht – und zwar in der Regel sofort.
Wenn man Christofer Ahlqvist, Chefredakteur von Stampen Media, zuhört, versteht man auch, warum. Bei Göteborgs-Posten, einem der Titel der Zeitungsgruppe, befanden sich die Abonnentenzahlen von 2012 bis 2019 im freien Fall. Binnen drei Jahren hat das Team der westschwedischen Tageszeitung die Trendumkehr geschafft – mit einer konsequenten Digitalstrategie.
Beeindruckt haben uns dabei auch einige Leuchtturmprojekte: zum einen etwa eine für ein Regionalmedium außergewöhnlich gut produzierte Podcast-Serie zu Prostitution und Menschenhandel in der Region, die zu über 1000 neuen Abonnenten führte, oder auch eine Kampagne zu Qualitätsjournalismus mit 1.300 Abos an einem einzigen Tag.
Christofer Ahlqvist sagt: Manchmal musst du ein bisschen mehr machen und auch als regionaler Player einen Anspruch wie ein nationaler verfolgen.
3. Die entscheidende Frage: Was will der Leser heute von uns?
Auch das Svenska Dagbladet hat sich in den vergangenen Jahren ein Stück neu erfunden und konnte den Negativtrend bei den Abozahlen umkehren.
Der stellvertretende Chefredakteur Martin Ahlquist erzählte vom Kulturwandel, den der Newsroom dabei durchgemacht hat.
Schönes Beispiel: Beim SvD heißt es in der Morgenkonferenz nicht „Welche Geschichten wollen wir heute machen?", sondern „Was will der Leser heute von uns?“. Was beschäftigt ihn, welche Erwartungen hat er an das Nachrichtenmedium, dem er vertraut?
4. Seit zwanzig Jahren eine Paywall
Aftonbladet ist DIE Nachrichtenmarke in Schweden. Im 19. Jahrhundert gegründet und nach dem 2. Weltkrieg als links-liberales Boulevardblatt geführt, haben sich Redaktion und Verlag eine schwindelerregenden Online-Reichweite aufgebaut. 4 Millionen Menschen besuchen täglich das Angebot. (Dass es in Schweden so etwas wie orf.at nicht gibt, hilft dabei ...)
Wenn etwas passiert, muss Aftonbladet das als erstes haben – so lautet der Anspruch. Entsprechend intensiv geht es am Newsdesk zu. Bei unserem Besuch wurde gerade bekannt, dass Prinzessin Madeleine nach einigen Jahren in den USA nach Schweden zurückkehrt.
Der Aftonbladet-Newsroom hat aber nicht nur Erfahrung mit spektakulären Reichweiten. Mit 260.000 Plus-Abonnenten (für derzeit 11,90 Euro im Monat) ist man auch beim Thema Digital Subscriptions ganz vorne dabei.
Schnellschuss war das Ganze jedoch sicher keiner. 2003 hat Aftonbladet eine Paywall eingeführt. Heißt für uns Tiroler: Alter Schwede, die haben 18 Jahre Vorsprung!
Trotzdem tüftelt das ganze Haus im Verbund mit Schibsted, dem riesigen Medienkonglomerat dahinter, täglich daran, wie das Angebot für die zahlende Kundschaft noch attraktiver werden kann.
5. Content is king. Heißt: Das Angebot muss passen.
Womit wir zu einer Erkenntnis kommen, die Marco und mich ein bisschen überrascht, aber zugleich zusätzlich motiviert hat: Egal in welchem Newsroom oder Konferenzraum wir zu Gast waren, es standen überall der Journalismus und das Produkt im Mittelpunkt und nicht die raffiniertesten Algorithmen, Chat-GPT oder der schlankeste Bezahlprozess.
Für uns zählt dieser Umstand doppelt. Denn zahlreiche Chefredakteure wie Peter Wolodarski von Dagens Nyheter sind nicht nur journalistisch verantwortlich, sondern zugleich auch für die Aboerlöse ihrer Häuser (oder sie sind überhaupt CEO).
Grundtenor: Die beste Antwort auf die Herausforderungen, die sich Medienhäuser weltweit stellen müssen, ist guter Journalismus.
Was das für uns und unsere Leser bedeutet, werden wir uns als Newsroom Schritt für Schritt erarbeiten.